„Sollten unsere Wurzeln nicht vergessen“
Pfaffenhofen (PK) Franz Grahammer aus Pischelsdorf ist seit zwei Jahren Kreisheimatpfleger des Landkreises Pfaffenhofen. Der 70-jährige Architekt im Ruhestand sieht seine Aufgabe unter anderem darin, zwischen Denkmalpflege und Bauwilligen zu vermitteln – vor allem aber darin, ein Bewusstsein zu schaffen für zeitgemäße, regionale Baukultur. Denn die, so ist er überzeugt, bewahrt nicht nur die baulichen Eigenheiten unserer Kulturlandschaft, sondern bietet auch Lösungsansätze gegen Flächenfraß und für neue Wohnformen im ländlichen Raum.
Herr Grahammer, Sie sind nun seit zwei Jahren Kreisheimatpfleger. Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Franz Grahammer: Ich will bei den Bürgern Akzeptanz für
die Belange der Denkmalpflege wecken – und umgekehrt. Das ist oft ein
Spagat zwischen den Vorstellungen der Bauherren und des Landesamts für
Denkmalpflege. Da gab es zum Beispiel gerade einen Fall in Hohenwart:
Ein denkmalgeschütztes Gebäude sollte senioren- und generationengerecht
ausgebaut werden – mit einem Aufzug ins Dachgeschoss. Da muss es doch
legitim sein, in den Zwischendecken Stücke der Balken herauszuschneiden.
Auch beim Denkmalschutz muss man über den Tellerrand hinausschauen: Es
geht nicht nur um Denkmalpflege, sondern auch um Themen wie Flächenfraß,
Wohnraum und innerstädtische Verdichtung. Da muss man Kompromisse
finden können.
Als Vorstandsmitglied im Forum Baukultur
haben Sie sich „zeitgemäßem Bauen in einer gewachsenen Kulturlandschaft“
verschrieben. Was meinen Sie damit?
Grahammer: Unsere Heimat ist das nördliche Oberbayern –
eine Kulturlandschaft, die über Jahrhunderte gewachsen ist. Reinrassige
Kulturlandschaften gibt es eigentlich nicht mehr, trotzdem hat jeder
Landstrich seine landschaftlichen und baulichen Eigenheiten, die es wert
machen, ihn zu besuchen. Wenn man bei uns zurückschaut, war das
Greddachhaus als das typische Holledauer Haus sehr verbreitet. Es sind
die Materialien Sand, Lehm und Holz. Und typisch ist vor allem das rote
Satteldach. Ein bisschen Schwarz in Form von PV-Anlagen gehört heute
natürlich auch dazu. Aber typisch bleiben rote Satteldächer in der
grünen, hügeligen Landschaft – diese Homogenität strahlt Ruhe und
Verbundenheit aus. Da wird das Miteinander der Dorfbewohner nach außen
sichtbar. Solche traditionellen Dachziegel dürfen altern und Patina
bekommen. Auf den engobierten schwarzen Schwarten von heute wächst kein
Moos mehr. Sie geben der Natur keinen Raum. Da stimmt doch was nicht: Im
Urlaubsland schwärmen die Leute vom natürlichen Charme – und daheim
wird dann steril gebaut. Und Gartengestaltung schließt sich da häufig
mit ein.
Schwarze Dächer sind halt gerade modern.
Grahammer: Ohne einen Kübel schwarzer Farbe und
anthrazitfarbene Hochglanzdachziegel scheint es heute nicht mehr zu
gehen – am besten mit einem Walm- oder Zeltdach. Dieses individuelle
Sich-absetzen-wollen ist aber nur eine kurzlebige Modeerscheinungen. So
wie es vor 20, 30 Jahren einen Erker-Boom gab. Mittlerweile werden die
wieder abgerissen.
Aber die Leute bauen nun mal so, wie es ihnen gefällt. Wer zahlt, schafft an.
Grahammer: Und ich will hier ja auch gar nicht mit dem
erhobenen Zeigefinger durchs Land ziehen, um den Bauherren zu erklären,
wie es richtig geht. Aber die Leute fragen mich als Kreisheimatpfleger
schon: „Darf das sein, dass da Kraut und Ruam nebeneinander gebaut
wird?“ Zerrissene, zerklüftete Siedlung mit unterschiedlichsten Farben
und Dachformen. Der eine sitzt unten im Loch, der andere thront darüber.
Da erkennen auch Laien, dass da nichts zusammenpasst. Es geht um gute
Baukultur.
Aber Sie meinen jetzt nicht Jägerzaun und Lüftlmalerei, oder?
Grahammer: Nein, das ist ja eher ein Klischee aus dem
Oberland. Wir wollen keinen Historismus, wir wollen zeitgemäße
Architektur – sollten dabei aber unsere Wurzeln nicht vergessen.
Grundsätzlich hat die Qualität der Architektur, einzeln betrachtet, in
den vergangenen zwei Jahrzehnten ja zugenommen – es gibt viele Beispiele
für qualitätsvolle, anspruchsvolle Architektur. Aber die ist dann
leider oft nicht landschaftstypisch. Beides wäre ein Idealfall.
Und mit einem guten Beispiel wäre es ja auch nicht getan.
Grahammer: Genau. Unsere Dörfer – auch neue Siedlungen –
bestehen aus vielen einzelnen Gebäuden, die sich als „Akkorde“ im
Idealfall zu einer „Gesamtkomposition“ zusammenfügen sollten. Doch dafür
bräuchte es einen Komponisten und einen Dirigenten – und einen
Auftraggeber, dem so ein Wohlklang am Herzen liegt. Aber es muss ja
nicht unbedingt die perfekte Harmonie sein. Mit einem verträglichen
Miteinander wäre schon viel gewonnen.
Liefert das Baurecht dafür nicht den richtigen Rahmen?
Grahammer: Hinter uns liegt eine Deregulierung des
Baurechts. Qualitätsvolle Gestaltung ist da nicht mehr gefragt. Manche
Landkreise leisten sich schon gar keinen Kreisbaumeister mehr. Früher
war Gestaltung wichtiger, heute beschränkt sich Baurecht auf
Reglementierungen wie Trauf- und Firsthöhe oder Abstandsflächen.
Bebauungspläne schreiben oft nicht mal mehr Dachformen vor.
Sollten Gemeinden in Bebauungsplänen wieder engere Grenzen setzen?
Grahammer: Das zum einen – aber letztlich geht es da
wohl auch um Wählerstimmen. Zum anderen ist neben der Kommunal- auch die
Landespolitik gefordert. Wobei: Um Wählerstimmen müsste man gar nicht
besorgt sein, wenn man ein Bewusstsein für diese Anliegen schaffen
würde. Landkreis und Forum Baukultur wollen dazu im Herbst eine
Infoveranstaltung durchführen.
Gleichzeitig aber wächst der Bedarf an
bezahlbarem Wohnraum – wie lässt sich regionale Baukultur mit
Geschosswohnungsbau im ländlichen Raum vereinbaren?
Grahammer: Lange,
große Baukörper hat es bei uns schon immer gegeben – zum Beispiel den
traditionellen Einfirsthof, wie er in der Holledau üblich war und bei
dem Wohnhaus, Stall und Stadel unter einem Dach waren. Auch das Bauen
nach oben ist im ländlichen Raum nicht neu, man braucht nur die
Hopfendarren anschauen, die es zwar noch nicht so lange gibt, aber die
fast schon so etwas wie ein Markenzeichen der Holledau sind.
Und wo sehen Sie Grenzen des Wohnungsbaus im Dorf?
Grahammer: Es wird schwierig, wenn Baugebiete zu groß
werden und sich nicht mehr der Dorfgemeinschaft zugehörig fühlen –
bildlich gesprochen: Wenn sie irgendwann ihren eigenen Maibaum
aufstellen. Für Zusammenhalt braucht es eine behutsame Entwicklung nach
Außen – oder Innennachverdichtung. Es gibt nämlich sehr viel
leerstehende Bausubstanz in den Dörfern: Betrachtet man ein Dorfgebiet
und streicht alle landwirtschaftlichen Nebengebäude, Stadel und Ställe,
dann bleibt nicht viel übrig außer ein paar verstreute Einzelgebäude.
Dann gibt es nicht einmal mehr Häuserfluchten.
Das heißt, große, lange Gebäude, wie man sie für Mehrspänner bräuchte, würden sich gar nicht mit dem Dorfcharakter beißen?
Grahammer: Überhaupt nicht! Bei Architektur geht es um
Raumbildung: Wie die Wände eines Zimmers bilden Gebäude untereinander
Höfe, Plätze und Straßenräume. Das funktioniert nicht mit
schachbrettartig angeordneten Einfamilienhäusern. Um Räume zu bilden,
braucht es langgestreckte Baukörper und Gebäude in Winkelstellung
zueinander. Wenn man die heutigen Baugebiete anschaut merkt man, dass
viele nur auf Ein- und Zweifamilienhäuser ausgelegt sind. Dabei bräuchte
es neben Wohnraum für Familien auch Wohnungen für Senioren oder Singles
– der Mix muss stimmen. Man muss zu anderen Wohnformen kommen – aber
eben ohne unser Landschaftsbild aufzugeben.
Und wie baut man landschaftsverträglicher?
Grahammer: Wir leben in einer Hügellandschaft. Früher
war es selbstverständlich, dass die Architektur sich dem natürlichen
Gelände anpasst. Heute passt man das Gelände den Häusern an. Es wird
abgegraben, abgeböscht und mit Stützmauern terrassiert, um ebene
Plateaus zu schaffen. Als ginge es nur darum, ein Fertighaus
„abzustellen“. Man könnte Häuser aber auch mit Fundamentmauern oder
Kellern ins Gelände einbetten.
Aber das ist doch auch dem geschuldet, dass Bauen auch für den kleinen Hausbauer bezahlbar sein muss?
Grahammer: Ich glaube nicht, dass ein Bauherr für gutes
Bauen mit Geländebezug unbedingt mehr Geld in die Hand nehmen muss. Zum
Thema Terrassierung: Da fließt manchmal so viel Geld in Erdplanung,
unnütze Geländebewegung und Gartenbefestigung, dass auch ein Keller
dringewesen wäre.
Das Gespräch führte
Michael Kraus.